Dieser Artikel erschien ursprünglich am 25. 06. 2012 bei globe-m
„Es gibt, gab und wird immer eine unendliche Anzahl von Dingen auf der Erde geben. Alle Individuen sind verschieden, wollen unterschiedliche Dinge, wissen unterschiedliche Dinge, lieben unterschiedliche Dinge, sehen unterschiedlich aus. Alles, was auf der Erde gewesen ist, war anders als alle anderen Dinge.“ ‑ Diane Arbus
Diane Arbus schrieb diese Worte in einem Referat über Platon, das sie 1939 im Oberstufenseminar Englisch an der Fieldston School hielt. Ihr Fazit aus dem Referat, sie sähe das Göttliche in den gewöhnlichen Dingen, schlug sich später in ihrem fotografischen Werk, das derzeit ausführlich im Martin-Gropius-Bau in Berlin bewundert werden kann, deutlich nieder.
Zu einer Zeit, in welcher Anpassung an die übrige Gesellschaft, insbesondere im Einwanderungsland Amerika, ein wichtiger Faktor für das soziale Überleben darstellte, beschäftigte sich die Ausnahmefotografin mit der Schattenseite der Gesellschaft ‑ mit den Individuen, für die dort kein Platz war. Arbus, die ihre Arbeit Anfang der 1940er Jahre begann, wurde sicherlich auch beeinflusst von den Gräueltaten, die Menschen aufgrund sozialdarwinistischer Ideologien anderen anzutun imstande waren.
Menschen faszinierten sie; die sogenannten „Freaks“, Nudisten, Schaustellern oder Menschen mit Behinderung, ebenso wie die High Society, Intellektuelle und Prominente. Genau diese Mischung, die scheinbar willkürliche Platzierung nebeneinander ‑ hier die Debütantin, dort der Transvestit, hier Frauen mit Trisomie 21, dort die Lady beim Shopping auf der 5th Avenue ‑ verweist auf das Kalkül ihrer Arbeit: Vermeintlich getrennte soziale Schichten existieren nebeneinander, sowohl im Raum als auch in der Zeit, und nur ein soziales Konstrukt hält sie davon ab, miteinander in Kontakt zu treten. Ähnlich ihren Bildern im Ausstellungsraum eines Museums sind sich die abgebildeten Personen sehr nah und doch sehr fern. Sie teilen die selben Gefühle, Erfahrungen und Wünsche, nur trennt sie in der realen Welt nicht der Bilderrahmen, sondern das soziale Millieu von einander.
Ihre Faszination am vermeintlich Hässlichen, an Randerscheinungen, an missgestalteten Menschen wurde zu ihrem Markenzeichen und zu ihrem künstlerischen Fokus. Obwohl, oder vielleicht eben weil sie als Modefotografin ihre Karriere begonnen hatte, wandte sie sich dem Unsichtbaren, Versteckten, Unschönen zu und bannte es mit ihrer Kamera auf Zelluloid.
Einige ihrer Fotografien sind in das kollektive Gedächtnis eingegangen und rühren etwas an, das zutiefst menschlich ist. Unverstellte, unverblümte Emotionen zeigen sich in den Posen und Gesichtern einiger ihrer Modelle, bei anderen spricht eben das antrainierte Verbergen dieser Regungen Bände. Diane Arbus fing mit ihrer Kamera die brutale Realität der optischen Bandbreite menschlichen Daseins ein.
Die gewaltige Sammlung an Fotografien, inklusive einem Study Center zu Leben und Werk der Künstlerin kann noch bis 23. September besucht werden.
Weitere Informationen
Diane Arbus, 22. Juni – 23. September 2012
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstr. 7
10963 Berlin
Tel: 030 254 86-0
Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Montag 10-19 Uhr,
Dienstag geschlossen
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