
Dieser Artikel erschien am 29.09.2012 bei globe-m
Foreign Affairs ist ein Festival für zeitgenössische Performancekunst, das am Freitag mit einer Vernissage des japanischen bildenden Künstlers und Architekten Kyohei Sakaguchi seinen Auftakt fand. Vor dem Haus der Berliner Festspiele stellte dieser sein Mobile House, auch Zero Yen House genannt, auf. Darin spielt der italienische Pianist Marino Formenti drei Wochen lang zwölf Stunden am Tag Klavier.
Wer ist hier obdachlos?
Durch eine Lücke im japanischen Gesetz zählt ein Konstrukt auf Rädern nicht als Wohnhaus. Dies ermöglicht es dem Künstler, der sich von den Überlebensstrategien japanischer Obdachloser in Millionenstädten inspirieren ließ, sein Mobile House auf öffentlichen oder verlassenen Plätzen zu errichten. Damit hinterfragt er Konzepte von Besitztum, von öffentlichem Raum und vom Anrecht auf dessen Nutzung, und stellt generell in Frage, ob Land eigentlich Besitz sein kann. So erzählt er von Mr. Sakaguchi und Mi-Chan, einem „Obdachlosenpaar“ aus Tokio, die in einer selbst gebauten Behausung am Fluss leben. Dabei stellt er sich die Frage, ob nun diese beiden „Hausbesitzer“ oder er, der nur zur Miete wohnt, obdachlos sind.
Konsumgesellschaft und Haus-Recycling
Auch die Art, wie Sakaguchis Mobile Haus gebaut wird, ist revolutionär: aus recycelten Materialien, von der Konsumgesellschaft achtlos weggeworfen, baut er seine Unterkünfte. Alte Fenster, Holzbretter, Autobatterien und Solarzellen, die genug Energie erzeugen, um einen Herd oder einen Fernseher zu versorgen, zählen zu seinem Baumaterial.
Zuhören: fünf Minuten oder fünf Stunden
Marino Formenti kam die Idee zu einer Drei-Wochen-Performance unter dem Titel Nowhere bei seiner, wie er sagt „prä-musikalischen“ Vorbereitung, also dem Üben von Fingersätzen oder ähnlichem. Um die Hektik aus der Musikwelt zu nehmen, sich wieder Zeit zu nehmen für die Musik, die in der heutigen Welt nur noch zwischen Termine gequetscht wird und auch den Musiker zur Maschine macht, deren Funktionieren über seiner Kunst steht, treibt Formenti die Performance noch weiter: Er wird in Sakaguchis Mobile House nicht nur arbeiten, sondern auch leben. Dabei spielt er John Cage, Morton Feldman und Louis Couperin, beschäftigt sich mit Zeit, Stille und Klang.
Per Livestream wird Nowhere übertragen, ist so überall zu verfolgen, und verstärkt dadurch die Bedeutung von „nirgends“ im digitalen Zeitalter.
Weitere Informationen
Foreign Affairs
28. September bis 26. Oktober
Programm hier.
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