
Dieser Artikel erschien in der Juniausgabe von Traffic News to Go.
„All art is unstable. Its meaning is not necessarily that implied by the author. There is no authoritative voice. There are only multiple readings.“ David Bowie, 1995
So lautet das Zitat an der Eingangswand, welche den Besucher der Ausstellung vorbereiten soll auf das, was ihn im Folgenden erwartet: Ein Sammelsurium an Musik, Kostümen, Gemälden, Zeichnungen, Schriftstücken, Fotografien, Videos, und anderen Einblicken in das, was zusammengesetzt im eine Person ergeben soll, gefühlt aber mehrere. David Bowie, dem diese Ausstellung des Londoner Victoria & Albert Museums nun im Martin- Gropius-Bau in Berlin versucht Herr zu werden, lässt sich nicht so leicht dingbar machen.
A Real Nowhere Man
Genau wie eingangs angekündigt, gibt es unzählige verschiedene Lesarten des Künstlers, sowie der Kunstfigur, David Bowie. Bowie, welcher im Laufe seiner mittlerweile gut fünfzigjährigen Karriere mehrmals nicht nur Metiers, Stil- und Musikrichtungen wechselte, hat viele Gesichter und Namen. Er scheint wie eine leere Projektionsfläche, die nicht nur von ihm, sondern auch von seinen Fans und seinen Kritikern beliebig ausgefüllt werden kann. Verortbarkeit ist daher ein zentrales Stichwort dieses Unterfangens, Herrn Bowie in einer Ausstellung gerecht zu werden. Ein Mann mit so vielen Facetten ist nicht leicht in einer Ausstellung festzunageln, selbst wenn die zahlreichen großzügig bestückten Räume gefüllt sind mit persönlichen Gegenständen und Ecksteinen seines Lebens.
David Bowie, der 1947 als David Robert Jones geboren wurde, zeigte früh künstlerisches Talent und gründete mit 15 Jahren seine erste Band, die „Kon-rads“. Der erste richtige Durchbruch gelang ihm mit dem Album Space Oddity, doch verlief seine Karriere nicht so linear wie bei manch anderem. Er kreierte mit jedem Album neue Charaktere, erfand streng genommen gar nicht sich selbst neu, sondern gleich eine neue Persona, wenn ihm danach war. Bowie taucht auf, verschwindet, bleibt örtlich und zeitlich nicht einordenbar: Lost in Space, wie Major Tom; verfolgt von der Zeit, wie in seinem Song „Changes“; ständig in Bewegung physisch wie spirituell, wie in „Don’t Sit Down“, einem Interlude auf Space Oddity, welches in hysterischem Lachen untergeht. Wenn man Bowies Werk betrachtet, könnte es genau so gut von heute oder morgen sein, jedenfalls scheint dies leichter zu glauben, als die Tatsache, dass Ziggy Stardusts kurzes Gastspiel auf der Weltbühne vierzig Jahre her sein soll.
Ein Puzzle namens Bowie
Es muss auch für die Kuratoren ein schier endloser Filterprozess gewesen sein, diese Ausstellungsstücke aus dem Archiv Bowies zu wählen und so dieses gigantische Puzzle zu schaffen. Kleine Spione durch Türen im Ausstellungsraum simulieren Einblicke in die Psyche, in die imaginären Welten Bowies’, so als könne man sich dem Faszinosum David Bowie nicht anders nähern als Löcher in seine strahlende Oberfläche zu kratzen. Ein bisschen Buddhismus, ein Comic, den er als Kind las, woher kommt soviel Inspiration, die ein halbes Jahrhundert lang zündet? Man kann diese Frage wohl nur mit einem Näherungswert beantworten.
Einige seiner Lyrics, die wie aus einer anderen Realität zu kommen scheinen, produzierte er mithilfe sogenannter „Cut-Ups“. In der Dadaistischen Tradition stehend, und von Willam Burroughs geliehen, kreierte er mit dieser Technik vermeintliche Nonsens-zeilen, die seine „Otherworldlyness“ unterstrichen und das Mysterium um ihn verstärkten. Eine Qualität, die ihm auch die Rolle des Außerirdischen in „The Man who Fell to Earth“ einbrachte.
Einen besonderen Fokus legte man in der Berliner Etappe der Wanderausstellung auf die Berliner Jahre. David Bowie lebte zwischen 1976- und 1978 in Schöneberg, gemeinsam mit Iggy Pop. Diese Zeit war für David Bowie Rehab und kreativer Boost zugleich. In der Schöneberger Hauptstraße 155 erholte er sich von seiner Kokainabhängigkeit und produzierte drei Alben, „Heroes“, Low und Lodger. Berlin als Niemandsland, mit noch deutlich sichtbaren Nachkriegsspuren und geteilt in Ost und West, diese bedrückende Atmosphäre eines Nicht-Ortes ließ ihn vor Kreativität geradezu sprühen.
Der Unsichtbare Dritte
Der neueste Coup: David Bowie spielt Versteck mit seinem Publikum. Der Mann, dessen Karriere zum großen Teil auf seiner extremen Sichtbarkeit beruht, scheint sich unsichtbar gemacht zu haben – weder zur Eröffnung in London noch in Berlin erschien er, seinen Brit Award ließ er von Kate Moss an seiner statt abholen.
Irgendwie bildet dies aber auch nur die logische Fortsetzung dieser Ausnahmekarriere – letzten Endes steigert seine Abwesenheit nämlich seine Omnipräsenz. Eine Retrospektive, die sollte nicht vom Künstler, schon gar nicht aber vom Kunstwerk kommentiert werden, sondern einfach wirken.
Und das tut sie, ganz ohne Zweifel.
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