Der Soziologe Michel Maffesoli prophezeite in seinem viel zitierten Werk The Time of the Tribes. The Decline of Individualism in Mass Society die Rückkehr der Stammesbildung als Zeichen der Überwindung der Moderne. „Neotribalismus“ ist das Wort, das laut Maffesoli den Zustand der Gesellschaft in der Postmoderne beschreibt. Institutionen der Moderne, wie Religion, Familie, Staat und Medien, verlieren an Bedeutung, während im selben Maße der selbstgewählte „Tribe“ für eine Person an Bedeutung zunähme.

Dieser Stamm kann beispielsweise eine Popstar-Fangemeinde sein oder eben ein Kollektiv, das sich selbst als Familie bezeichnet und gemeinsam Mode macht — wie der Freundeskreis um die Berliner Serhat Isik und Benjamin Alexander Huseby vom neuen Label GmbH. Der Trupp lernte sich in der Berliner Techno- und Schwulenszene kennen und wuchs, weil traditionelle Familienbilder nicht in die Leben dieser urbanen Nomaden passen, zu einer Gemeinschaft als Ersatzfamilie zusammen. Im Schoße des Kollektivs, fernab des Mainstreams, darf bei GmbH jeder sein, wer er möchte.

GmbH: Mode, Party, Kollektiv am Rande der Anonymität

Der Kollektiv-Name GmbH, das Akronym der deutschen Kapitalgesellschaftsform „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ verweist dabei auf keine bestimmte Person und stellt so eine Distanz zwischen dem Modemacher und seinem Produkt her. Ähnlich wie beim Pariser Nachwuchslabel Vetements, deren Markenname auf deutsch schlicht „Kleidung“ heißt, lässt GmbH auf die Profanität des Endproduktes und seiner Fertigungsmethoden schließen. Begriffe wie Sampling, Streetwear und  Normcore dürften dem Modestil beider Labels gerecht werden.

Meist tritt eine GmbH als gesichtslose Entität hauptsächlich durch das, was sie produziert, in Erscheinung. Anders als bei Martin Margiela, der personifizierten Anonymität in der Mode, existiert im Falle von GmbH aber ein Bild, auf dem alle Mitwirkenden zu sehen sind. Es geht also nicht um Unsichtbarkeit — sondern darum, etwas gemeinsam zu machen und dem derzeit oft wie einen Popstar gefeierten Ideal des „Creative Directors“ etwas entgegenzusetzen.

Auf dem Bild zeigt sich auch der Multikulturalismus der „Familie“: Serhat Isik, der studierte Modedesigner, hat einen türkischen Background, Benjamin Alexander Huseby, Fotograf, ist norwegisch-pakistanischer Abstammung. Neben ihnen auf dem Gruppenbild sind zu sehen: Marie Veierød, Bart Smet, Marcelo Alcaide, Mina Hammal, Tobias Lee, Gabor Szabo und Ande Pramuk. Die Charaktere der beiden Kreativen und ihrer Freunde schlagen sich sowohl in den Entwürfen, als auch in den Shoots nieder. So werden einzelne Kleidungsstücke nach Freunden benannt, oder an ihnen geshootet.

Aus Funktionsmaterialien, Samt und PVC fertigte GmbH so eine erste Kollektion, die langlebig sein und in jeden Kleiderschrank passen soll – zumindest in jene von Menschen, die sich in Sachen Glaubensgemeinschaft direkt dem suburbanen GmbH-Partykollektiv anschließen könnte: sportmodische Athleisure-Anklänge in Weiß mit asymmetrisch verlaufenden Reißverschlüssen, die an Muckibuden-Subkulturen erinnern; Nicki-Sweater in Königsblau, Oversize-Bikerjacken mit integrierten Rückentaschen, PVC-Raverhosen und Feinrippunterhemden.

Gesellschaft und Kapital? Beschränkte Haftbarkeit

Mode vom Kollektiv: Eigentlich hat eine GmbH ja immer auch etwas Schemenhaftes. Es stehen zwar echte Menschen hinter ihr, sie treten aber meist nicht persönlich in Erscheinung und haften in Sachen Kapital eben nur zu einer gewissen Einlagesumme. Wird am Ende richtiger Mist verzapft, sind die dahinter Stehenden eben genau das: nur beschränkt haftbar. Für das Kollektiv ist das auch eine Anspielung auf die gängige Praxis im Modebusiness, sich oft nur halbherzig mit Haftung auseinander zu setzen. Das zeigt sich insbesondere in Extremfällen, wie dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in 2013. Der Zusatz „mit beschränkter Haftung“ entbehrt also nicht einer gewissen Kritik am System.

Was könnte das für die Mode von GmbH noch bedeuten: dass die Macher für Qualität von Design und Klamotte eben nicht zur Verantwortung gezogen werden können? Vielleicht ist das aber auch anders zu verstehen. Beide Gründer verweisen häufiger auf die Art der Berliner, sich lieber in günstige Vintage-Kleidung denn teure Designer-Mode zu kleiden — sicherlich auch ein Stück weit ein Klischee. Statt Trends zu folgen bietet das hiesige Konsumverhalten für Isik und Huseby eine Chance auf Veränderung. So oder so, anstatt immer mehr zu kaufen, wollen sie die Menschen dazu bewegen, besondere Stücke zu erwerben, die ein langes Leben vor sich haben. Neu ist die Idee derzeit natürlich nicht. Genau genommen reiht sich GmbH damit auch nur ein in den Trend hin zur Entschleunigung, in dem Konsum als kontrollierte Konsumkritik clever verpackt wird. 

Zwischen Konsum und Kritik

Dazu passt auch ein Detail im Hintergrund des Gruppenbildes des Kollektivs: dort sieht man einen älteren Flaschensammler, der gerade eine Pfandflasche in seine Plastiktüte steckt — in Berlin längst zu einer Alltagsszene geworden, die immer und überall parallel mitläuft. Während also eine Gruppe an jungen und privilegierten Partygängern ihre Techno- und Workwear-Kollektion inszeniert, spielt sich im Hintergrund ein berlintypisches Altersarmuts-Szenario ab. Zufall? Natürlich nicht. Bei GmbH wird der Flaschensammler im Bild nun zum vorgeblich konsumkritischen Accessoire.

Immerhin scheint GmbH für ihren kritisch verpackten Konsum die richtige Verpackung gewählt zu haben, anders ließe sich der momentane Hype um GmbH wohl kaum erklären: Die Stoffe für die aktuelle Kollektion mit dem Titel „Girls in Love“ stammen allesamt aus einer High-End-Fertigung in Mailand, wo sich das Kollektiv nur die Reste, die Ladenhüter leisten konnte. Aus der Not wurde also schlauerweise schnell eine Tugend. Und die einstige Überproduktion wird in den Händen von Isik und Huseby so zur Fund- und Goldgrube.